Hüttenwirt

Hüttenwirt der Hochstubaihütte Thomas Grollmus – Versuch eines kleinen Portraits

Wer schon einmal auf einem Dreitausender gestanden hat, kann sich kaum vorstellen, dass ein Leben für Menschen da oben möglich ist. Die Luft beginnt bereits dünn zu werden, sämtliche körperliche Tätigkeiten fordern uns Menschen einen höheren Tribut ab. Die Gefahr von Unfällen und körperlichen Beschädigungen steigt selbst bei der Ausübung von alltäglichen Tätigkeiten. Gar nicht zu reden von der Einsamkeit, welche sich einstellt, wenn es regnet oder gar schneit. Kurzum, nach der erfolgreichen Besteigung eines Dreitausenders ist wohl jeder Bergsteiger daran interessiert auf direktem Wege wieder in sichere Tallagen absteigen zu können. Der Mensch spürt instinktiv, dass dieses Umfeld nicht sein optimaler Lebensraum ist und diese Umgebung dauerhaft eher beeinträchtigt als nützt.

Ich möchte hier über einen Menschen berichten, der einen Platz über 3000m als seinen schönsten Ort versteht. Dabei schreibe ich über Thomas Grollmus, den Hüttenwirt unserer Hochstubaihütte auf dem Berggipfel der Wildkarspitze auf 3175m. Als Florian Fiegel, der Vorgänger von Thomas, mir im Jahr 2009 seine Kündigung übergab war mir sehr schnell klar, dass eine Neuausschreibung der Hochstubaihütte ein recht aufwändiges Verfahren nach sich ziehen würde. Die Realitäten gaben meinen Befürchtungen Recht. 24 Bewerbungen mussten geprüft werden. Bewerber, welche von vornherein nicht in Frage kamen, mussten von denen unterschieden werden, welche gut geeignet erschienen. Ich musste eine Besichtigung unter Betriebsbedingungen ermöglichen und natürlich wollte ich diese Menschen im Vorfeld auch persönlich kennenlernen. Da der Leser die Entfernung zwischen Dresden und unserer Hütte kennt, wird er einschätzen können, wie erheblich der Aufwand für den verantwortlichen Hüttenwart in dieser Zeit war.

Ich war natürlich daran interessiert, möglichst einen Einheimischen, also einen Tiroler für diese Tätigkeit zu gewinnen. Sie verfügen meist über lokale Netzwerke, verstehen es vortrefflich sich im Hochgebirge zu bewegen und sind in vielen Fällen mit Bergrettungstechniken vertraut, was ja ein sehr wichtiges Element bei dem Betrieb von Hochgebirgsschutzhütten ist. Nun sind unsere Tiroler Freunde ein sehr bodenständiges Völkchen, lange nicht so reisefreudig wie wir Sachsen. Wen wundert es, dass nicht wenige dieser Menschen kein allzu großes Interesse zeigen ihre geliebten Berge zu verlassen, auch wenn es sich dabei um eine so wichtige Sache wie die Vergabe einer Hüttenpacht handelt.

Um so erfreuter war ich, als der „Bewerber“ Thomas Grollmus, er wäre fast durch mein Auswahlraster gerutscht, mir am Telefon kurzerhand erklärte, er käme zu mir nach Hause. Schließlich wolle ja er etwas von mir. Auf meine Frage, ob er sich denn die Hütte nicht mal ansehen wollte, bekam ich die Antwort, dass dies längst geschehen wäre und wenn er eine Hütte pachten würde, dann nur diese. Nun, ich hatte dagegen wirklich nichts einzuwenden und war sehr gespannt auf unsere erste Begegnung. Als diese dann erfolgte, wurde aus dem Gespräch ein abendfüllendes Programm. Und eines gleich vorweg, wer denkt, dass Sympathien bei der Auswahl keine Rolle spielen, irrt. Schließlich muss man miteinander klar kommen, auch wenn Probleme auftreten, und diese kommen auf 3175m immer mal vor.

In unserem ersten Gespräch erfuhr ich natürlich allerhand Persönliches von meinem Gesprächspartner. Thomas Grollmus ist heute 47 Jahre alt, seit 22 Jahren verheiratet mit Kerstin, einer waschechten Sächsin und Leipziger Pflanze. Kerstin ist von Beruf Erzieherin, aber seit nunmehr über 10 Jahren Jahren Hüttenwirtin aus Leidenschaft. Thomas ist im Gegensatz zu meiner damaligen Annahme kein Tiroler, sondern in München geborener Bayer. Nach erfolgreichem Schulabschluss lernte er im väterlichen Betrieb den Beruf eines Elektrikers. Thomas wollte aber nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten. Ihm schwebte eigentlich ganz anderes vor, immer die hohen Berge im Blick, z.B. Holzfäller in Kanada, das war ein Traum – leider war er nicht umsetzbar - oder Hüttenwirt. Aber der Reihe nach.

Es gab Perspektiven, denn die Berge hatten es ihm angetan. Was sprach also dagegen, bei der Arbeit in den Bergen auch noch Geld zu verdienen. Die Bundeswehr bot ihm die Gelegenheit eine Ausbildung zum Heeresbergführer zu absolvieren. Insgesamt 13 Jahre war er so als Berufsunteroffizier tätig. Hier trieb er seine Leidenschaft fürs Skibergsteigen bis zur Spitze und schaffte u.a. die Qualifikation für die „Patrouille des Glaciers“ von Zermatt nach Verbier, eines der schwersten Skitourenrennen der Welt (110 Leistungskilometer; +/- 4000hm, müssen in einem Stück bewältigt werden). Vor nunmehr fast 20 Jahren kündigt sich Töchterchen Lena an, sie hat in diesem Jahr ihre Matura für Tourismus und Soziales abgelegt und könnte damit in die Fußstapfen ihrer Eltern treten.

Gemeinsam haben die Drei ihren Lebensmittelpunkt in dem Tiroler Städtchen Reutte, wo sie seit vielen Jahren wohnen. Von 2006 bis 2011 bewirteten Kerstin und Thomas die Otto Mayr Hütte (1530m) in den Tannheimer Bergen. Seit 2012 ist Thomas Wirt unserer Hochstubaihütte, auch Kerstin war hier bereits 2 volle Bergsommer mit dabei. 2015-2018 bewirteten sie parallel die Kögelehütte (1519m) in Berwang (Tiroler Zugspitzgebiet) und seit 2018 die Potsdamer Hütte (2009m) in den Sellrainer Bergen. Der Grund für die Bewirtschaftung von zwei Hütten parallel ist sehr einfach, die Hochstubaihütte kann auf Grund der kurzen Öffnungszeiten im Sommer (10 Wochen) nicht das Einkommen der Familie sichern.

Vom Beruf des Hüttenwirtes haben viele Menschen eine ziemlich sentimentale Vorstellung. Besucher von Schutzhütten sind fast immer in der Rolle eines Gastes und somit bleiben ihnen viele der Abläufe, welche zum Gelingen des gastlichen Erlebnisses führen, verborgen. Diese Abläufe offenbaren aber vielfach die Härten eines Lebens im Hochgebirge, ganz besonders, wenn das Leben über 3000 m stattfindet. Ein Hüttenwirt muss Techniker, Handwerker, Gastronom/Koch, Bergretter, Bergsteiger, Auskunftsperson, Meteorologe, Ortskundiger, Psychologe, Chef, Vorbild, Bergwegebauer, Statistiker, Buchhalter u.v.a.m. in einer Person sein. Die Gäste erwarten Freundlichkeit und Kompetenz, sie erwarten am Abend eine Dusche und ein gutes Essen auf dem Teller, am Morgen warmen Kaffee und gute Wünsche beim Abmarsch zur nächsten Tour. Das alles kann natürlich kein einzelner Mensch zur Perfektion in sich vereinen. Thomas deckt diese Eigenschaften zu einem sehr guten Teil ab, ist sich aber auch für ein klares Wort, da wo es angebracht ist, nicht zu schade.

Besondere Probleme machen ihm Gäste, welche ihre Reservierungstermine nicht einhalten. Sie glauben es wäre vertretbar ein oder zwei Stunden vor dem Abendessen ihren Besuch abzusagen. Hier kann es auch mal vorkommen, dass kurzzeitig Resignation aufkommt. Aber lange hält dieses Gefühl bei ihm meist nicht an, denn er ist von 6.00 bis 22.00 Uhr mit seiner gesamten Person gefordert und da bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Erstaunt und begeistert ist er immer wieder über das ehrenamtliche Engagement vieler unserer Sektionsmitglieder bei A-Einsätzen und anderen Aktivitäten. Das, so sagt er, hätte er so nicht erwartet bei einer alpenfernen Sektion wie Dresden.

Als Wirt der Hochstubaihütte und Mitglied unserer Sektion hat er mit seinem Team in den 10 Wochen des Hüttenbetriebes ca. 1200 Übernachtungsgäste und noch einmal so viele Tagesbesucher zu betreuen. Er kocht selbst, und wenn die Energieversorgung mal muckt, dann ist er mit seiner beruflichen Vita auch direkt gefragt. Egal was da oben schief geht, zuerst ist Selbsthilfe angesagt. Einen Profimonteur bekommt man meist erst ein-zwei Wochen später. Wenn Wanderer im Umkreis der Hütte Probleme bekommen, steht er mit seiner Erfahrung und Fitness auch als erster Ansprechpartner und Helfer bereit. Seine Frau Kerstin sieht er im Sommer nur sehr selten, sie ist ja derweil für den Betrieb auf der Potsdamer Hütte zuständig. Ein gutes Leben? „Ja“ sagen beide, „denn wir leben und arbeiten in einer Traumlandschaft“. Leider wird es nicht einfacher mit der Hüttenbewirtung, behördliche Auflagen und eine gewisse, sich immer weiter ausbreitende Bürokratie lassen auch manchmal Zweifel aufkommen, ob das alles noch schaffbar bleibt. Aber wer jammert hat schon verloren.

April 2019, Heiko Kunath stellvertretend für ganz viele Freunde der Hochstubaihütte